Hochwasserschutz in Orsoy

Rheindeich Orsoy: Spundwand-Lösung in hochgefährdetem Gebiet


Höchstes Gefährdungspotenzial durch Überflutungen in Deutschland besteht am Niederrhein. Im dicht besiedelten Umland hat ein verlässlicher Hochwasserschutz daher besondere Bedeutung. Auch hier werden manche Deiche mit Rücksicht auf Bäume saniert.

 

So ist im Rahmen der geplanten Ertüchtigung eines 8 Kilometer langen Deichabschnitts am unteren Niederrhein in Orsoy der Einbau einer Stahlspundwand vorgesehen: vor allem, um die Lindenallee auf dem Deich zu erhalten. „Dafür ist eben so ein statisches Ersatzsystem prädestiniert“, sagt Projektleiter Dr. Ronald Haselsteiner.



Stark gefährdeter Siedlungsraum

Am Niederrhein hat das Deichen eine sehr lange Tradition. Seit Urzeiten besiedeln und bewirtschaften Menschen das fruchtbare Gebiet. Sie mussten stets mit dem Rhein und seinen „Kapriolen“ leben. Ohne entsprechende Vorsorge wäre dies nicht möglich gewesen.

 

Die flache Geländestruktur war und ist durch Hochwasser immer wieder gefährdet. Infolge des jahrhundertelangen Bergbaus wurde diese Situation noch verschärft: Ganze Landstriche sind abgesunken; einige liegen deutlich unter dem Niveau des Stroms. Teils liegt das Umland bis zu 12 Meter tiefer als die Deiche. Bei Versagen eines Deichs würden auch diese Bergsenkungsgebiete massiv überflutet. Durch den hohen Grundwasserspiegel stünde dann das Land sehr lange unter Wasser und wäre über Jahre nicht nutzbar.

 

Viele Restriktionen und Erschwernisse

Heute leben allein in den sieben deutschen Großstädten am Niederrhein rund 3 Millionen Menschen. Wegen des hohen Gefährdungspotenzials sowie Defiziten bei der Standsicherheit wurde seit 1995 ein Großteil der 330 Kilometer Deiche am Niederrhein saniert, unter anderem der Rheindeich in Uerdingen. Weitere werden derzeit ertüchtigt oder sind in Planung befindlich.

 

Zur letzteren Gruppe gehört der rund 8 Kilometer lange Deich zwischen den Ortschaften Duisburg-Baerl und Rheinberg-Orsoy. Er soll einem extremen Rheinhochwasser standhalten, das statistisch alle 500 Jahre stattfindet. Besonders aufgrund der dichten Besiedlung und der Folgen des Bergbaus ergeben sich viele Restriktionen und Erschwernisse, die bei der Ertüchtigung zu berücksichtigen sind. (Zum Beispiel ist streckenweise ein bis zu 15 Meter hoher Deichkörper notwendig.)

 

Mit der Planung dieses komplexen Vorhabens beauftragte der zuständige Deichverband Duisburg-Xanten das Fachbüro Björnsen Beratende Ingenieure, Koblenz. Projektleiter war Dr. Ronald Haselsteiner, den die Stadt Mannheim mit einem Gutachten zur Prüfung einer alternativen, baumerhaltenden Sanierungs-Lösung beauftragt hat. Das Bauvolumen wurde auf 20 Millionen Euro überschlägig ermittelt.

 

Stahlspundwand in kritischem Bereich ermöglicht Erhalt einer Lindenallee

Im Laufe der Zeit wurden nahe am Deich insbesondere Gebäude errichtet – teilweise in die Deichflanke eingebracht – ein Hafen sowie ein Deichtor errichtet. Zudem wurden Bäume und Sträucher gepflanzt, in Orsoy eine Lindenallee, darunter eine 300 Jahre alte Linde (der „Dicke Bär“). Für die Planer galt es, diesen Bestand zu schützen und soweit möglich zu erhalten, ohne die Funktion des Deichs – also einen verlässlichen Hochwasserschutz – zu verringern.

 

Im „urban geprägten Bereich“ von Orsoy ist der Königsweg hierfür die Einbringung eines statischen Ersatzsystems in den Deich, das Hochwasserereignissen widersteht, langfristig Sicherheit bietet und unterhaltungsarm ist. Hier hat sich – gerade an kritischen Stellen – der Einsatz einer durchgehenden Stahlspundwand in der Deichkrone, gegebenenfalls in der wasserseitigen Flanke, uneingeschränkt bewährt. (Es ist bislang kein einziger Fall bekannt, in dem eine solche Konstruktion – im Gegensatz zu so manchem Erdbaudeich – versagt hätte). Die Tiefe der Spundwand muss sich dabei nach der Deichhöhe richten.

 

Da die Schutzfunktion allein durch die selbsttragende Spundwand sichergestellt ist, sieht die Planung vor, dort vorhandene Bäume weitgehend zu belassen. Die bei Erddeichen gefürchteten Kanälchen entlang des Wurzelwerks von Bäumen bilden sich in diesem Fall nicht.

 

Deichverteidigung und Baumerhalt schließen sich nicht aus

Deiche mit einem statischen Ersatzsystem benötigen vom Konstruktionsprinzip her grundsätzlich keine Deichverteidigung wie reine Erddeiche, da sie bruchsicher sind. Trotzdem sieht der Planer hier einen Verteidigungsweg vor. Der wesentliche Grund hierfür ist, dass der insgesamt 8 Kilometer lange Deich nicht durchgängig mit Spundwänden versehen, sondern einige Abschnitte in Erdbauweise errichtet werden sollen. Diese müssen bei sich anbahnendem Versagen zum Beispiel mit Sandsäcken verteidigt werden, wozu eine gute Zufahrtsmöglichkeit erforderlich ist.

 

In Orsoy ist geplant, in dem Bereich zwischen der Stahlspundwand und dem vorhandenen Deich einen neuen Deichkronenweg anzulegen, der auch zur Deichverteidigung und -unterhaltung genutzt werden kann. Dazu Haselsteiner in einer Präsentation (Stand 08/2021): „Dadurch hat man wenig Eingriff. Die Bestandssituation, auch die Bäume werden weitestgehend erhalten und man hat einen zusätzlichen Weg, der gleichzeitig eben auch die technischen Anforderungen erfüllt.“

 

Fazit: Baumerhaltende Lösung selbst in hochgefährdeten Gebieten machbar

Trotz – oder gerade aufgrund des – enormen Gefährdungspotenzials am Niederrhein plant Haselsteiner die Einbringung einer Spundwand in den bestehenden Erdbaudamm als statisches Ersatzsystem, das die Bäume schont. Dass sich ein hoch anerkannter Deichexperte sogar hier für diese Lösung entscheidet, beweist, dass sie höchste Sicherheitsanforderungen erfüllt. Zudem ist das ein eindeutiger Beleg dafür, dass eine Synthese aus modernem sicherem Hochwasserschutz und Baumerhalt – sprich Umwelt- und Klimaschutz – erzielt werden kann.

 

Zu der Präsentation Haselsteiners gibt es ein Video. Um die Spundwand-Lösung geht es ca. ab der 20. Minute.


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